Mike Falkner entwickelt Videospiele für ältere Menschen. Damit möchte er ihr Gedächtnis und ihre Feinmotorik trainieren – und so einen Beitrag zur Vorbeugung von Krankheiten wie Demenz und Parkinson leisten.
Interview und Fotografie: Monika Kugemann
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Wie wird ein gebürtiger Neuseeländer, der Game-Design studiert und einige Jahre in der Filmindustrie gearbeitet hat, ein Teil von Forschungsteams am Zentrum für biomedizinische Technikforschung ARTORG und den Universitären Psychiatrischen Diensten? «Videospiele üben auf die meisten Menschen einen grossen Reiz aus. Diesen möchte ich dazu nutzen, um etwas Nützliches für die Gesellschaft zu tun», sagt der 32-Jährige.
Als ich Mike Falkner zum ersten Mal in seinem Büro treffe, ist er von einer stattlichen Anzahl kleinerer und grösserer Bildschirme umgeben. Doch ein stereotypisch introvertierter Nerd scheint er mir nicht zu sein. Stolz präsentiert er mir eine Anwendung für die er 16 verschiedene Gedächtnistrainings entwickelt, die das semantische, räumliche, episodische und das Arbeitsgedächtnis trainieren.
Im Gegensatz zu vielen heute schon verfügbaren Gedächtnistrainings-Apps, basieren die Anwendungen, die Falkner gemeinsam mit Esther Brill entwickelt, die an der Alterspsychiatrie der UPD doktoriert, auf solider neurowissenschaftlicher Forschung. «Es gibt auf dem Markt zwar bereits vereinzelte wirklich hochwertige Games, die etwa Biomarker für Alzheimer aufspüren und so einen Beitrag zur Bekämpfung dieser Krankheit leisten – doch die meisten sind kommerziell motiviert», verrät Falkner. «Die Spieleentwicklung von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus betreiben zu können ist aussergewöhnlich». Aktuell arbeitet er an fünf Gamedesign-Projekten, die meisten im Bereich kognitive Trainings: «Drei für Tablets, eines für den Computer und eines für Smartphones.»
Am Nebentisch sitzt Nic Krummenacher, der seine Dissertation an der Forschungsgruppe 'Gerontechnologie und Rehabilitation' des ARTORG schreibt. Mit ihm arbeitet Falkner an einer Smartphone-App zur Verbesserung der Feinmotorik bei Parkinsonpatientinnen und -patienten. Die Bedienung erfolgt mit einem eigens dafür entwickelten Silikon-Ei, das mit kleinsten Drucksensoren ausgestattet ist. «Die Sensoren sollen uns Aufschluss darüber geben, welche Finger der jeweiligen Patientin oder dem Patienten die meiste Mühe bereiten», erklärt Krummenacher.
Ich darf den Prototyp der Motorik-TrainingIch darf den Prototyp der Motorik-Trainings-App testen und finde schnell heraus: In drei der vier Spiele braucht es nur ganz kleine Bewegungen aus dem Handgelenk, damit eine geometrische Form in der richtigen Richtung im 'Tetris' landet oder meine Kugel im Labyrinth nicht sofort in einer der vielen Löcher im Boden verschwindet. «Wir haben uns bewusst für diese empfindliche Navigation entschieden, da bei beginnendem Parkinson meist grosse Bewegungen noch gut funktionieren, kleine gezielte aber nicht mehr so gut kontrolliert werden können», erklärt Krummenacher.
Ich mag es, Videospiele zu entwickeln, die nicht nur Spass machen, sondern auch etwas nützen.
Mike Falkner
Nach Versuchen in der Motorik-App wende ich mich wieder dem Hirntraining auf dem iPad zu. Hier kommt so schnell keine Langeweile auf: Nutzende können wählen, ob sie lieber einkaufen, auf Safari oder auf Schatzsuche gehen, lieber mit anderen an einer Quizzshow teilnehmen, Kreuzworträtsel lösen oder sich in einer drehenden Matrix orientieren wollen. Mit den vielen Tieren muten die Spiele fast schon wie ein Zoobesuch an, denke ich als ich im Garten Kaninchen suche und im Wald Bären fotografiere.
Warum das alles aus wissenschaftlicher Perspektive Sinn macht, erklärt mir Esther Brill: «Wir haben diese Trainings für ältere Erwachsene entwickelt, bei denen ein Demenzrisiko besteht oder die bereits damit diagnostiziert sind. Unser Ziel ist, mit diesen 'Serious Games' den kognitiven Abbau möglichst hinauszuzögern oder abzuschwächen.»
Unser Ziel ist, den kognitiven Abbau möglichst hinauszuzögern oder abzuschwächen.
Esther Brill
Gemäss aktuellen Erhebungen werden Computerspiele bei Menschen über 50 immer beliebter – und zwar längst nicht mehr nur Sudoku, Mahjong oder Solitär. Für viele ist das Setzen kleiner erreichbarer täglicher Ziele in den Spielen, zusammen mit dem Unterhaltungsfaktor ein guter Anreiz, am Ball zu bleiben. Doch natürlich haben die Spiele auch selbst Mechanismen um die Nutzer zu binden, wie Falkner weiss: «In meinem Studium habe ich das Rüstzeug für diese sogenannte Spielmechanik erlangt. Diese kommen in jedem Videospiel vor und sind wichtig für das Spielerlebnis.»
Falkner scheint diese Mechaniken geschickt Falkner scheint diese Mechaniken geschickt für seine Games einzusetzen. «Wir haben aus der klinischen Studie viele positive Rückmeldungen erhalten, auf die ich sehr stolz bin. Die Patientinnen und Patienten haben am Ende oft gefragt, ob sie die Spiele selbst herunterladen und weiterspielen können.» Die Versuchsteilnehmenden hätten sich nicht nur an die Games gewöhnt, ergänzt Brill, sondern berichteten während des mehrmonatigen Trainings auch, dass sie eine Verbesserung ihrer Lebensqualität und Kognition verspüren würden.
Auch ausserhalb des Forschungsalltags hat sich Falkner in seiner neuen Wahlheimat Bern eingelebt. Abwechslung findet er beim Mountainbiken durch Bremgarten. «Ich hatte schon davon gehört dass Spiele mit einem Nutzen für die Gesundheit entwickelt werden können, mir aber nicht träumen lassen, dass man in diesem Beruf Vollzeit arbeiten kann. Ich mag das akademische Umfeld in dem wir experimentieren können», sagt Falkner.
Unterdessen stossen seine Spiele auch jenseits der Uni Bern auf Interesse. So arbeitet er in Forschungsprojekten mit der ETH Zürich sowie Universitäten in England und Frankreich zusammen, die Spiele für ihre Forschung verwenden und teilweise eigene Ideen haben, die sie gerne umsetzen würden. Wird die Berner Spielesammlung also zum Exportschlager? «Ich fände es toll, wenn diese Spiele das Labor verlassen und ihren Zweck erfüllen würden. Alles, was zur Verbesserung der kognitiven oder motorischen Fähigkeiten beiträgt, sollte man in seine Routinen und Gewohnheiten einbeziehen», so Falkner.
Vorerst bin ich etwas enttäuscht, das Tablet mit den 16 Spielen wieder abgeben zu müssen. Auch wenn ich (hoffentlich) noch keine Anzeichen von Demenz aufweise, würde ich gerne noch ein wenig damit weitergamen.