Für Sie zusammengefasst:
2023 hat CLASH (Collectif de Lutte contre les Attitudes Sexistes en milieu Hospitalier) den Prix Lux der Universität Bern erhalten. Das Kollektiv setzt sich dafür ein, Medizinstudierende in Begleitpraktikas im Spitalbetrieb vor sexuellen Übergriffen – verbaler und nonverbaler Art – zu schützen. Im Gespräch mit Lena Woodtli erfahre ich von ihrem Engagement bei CLASH Bern und welche Ziele CLASH verfolgt.
Sexismus im Spital
Im Praktikum erleben Medizinstudierende Sexismus im Spital hautnah. Eine 2018 durchgeführte Studie von Medizinstudierenden der Universität Lausanne zeigt, dass 60% der Praktikant:innen sexuelle Übergriffe mitbekommen und 36% persönlich solche Grenzüberschreitungen erlebt haben. Stark ausgeprägte Hierarchien zwischen Mitarbeitenden und enge körperliche Arbeit im Spitalbetrieb begünstigen Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe; dem sind Studierende besonders ausgesetzt. Sexismus kann zwischen Praktikant:in und Vorgesetzten oder auch Patient:innen vorkommen. 2018 – nach der Publikation der Studie – hat sich in Lausanne das Kollektiv CLASH gegründet. Das Kollektiv CLASH Bern gibt es seit 2022. Es setzt sich dafür ein, das medizinische Arbeitsumfeld zu verändern. 2023 hat das Kollektiv den Prix Lux der Universität Bern gewonnen. Dieser wird für die aktive Förderung von Chancengleichheit vergeben.
Meine Aufmerksamkeit hat CLASH geweckt, weil auch ich als Studentin von Sexismus im Alltag betroffen bin und selbst grenzüberschreitende Situationen erlebt habe. Die UniBE Foundation fördert einen Wissenschaftsbetrieb, der mit diversen Teams langfristig nachhaltige Erfolge erzielt und wofür Gleichstellung aller Geschlechter im Arbeits- und Forschungsumfeld grundlegend ist. Deshalb interessiert mich die Arbeit von CLASH an der Universität ganz besonders. Heute treffe ich mich mit Lena Woodtli. Sie studiert im zweiten Mastersemester Medizin und ist Mitbegründerin von CLASH Bern. Lena erzählt mir von ihrem Engagement bei CLASH, wie das Kollektiv arbeitet, welche Ziele es verfolgt und davon, wie sich der Prix Lux auf die Arbeit ausgewirkt hat.
Interview mit Lena Woodtli
UniBE Foundation: Lena, was hat dich angetrieben, CLASH mitzugründen?
Als ich mich für mein Medizinstudium entschieden habe, sagten mir viele: „Als Frau hast du viele Erlebnisse im Operationssaal und mit Patient:innen, die grenzüberschreitend und sehr belastend sind. Willst du wirklich in einem solchen Arbeitsumfeld arbeiten?“ Und auch ich fragte mich das. Ich habe dann entschieden, dass ich mich von diesen Sorgen nicht abhalten lassen möchte, das zu tun, was ich eigentlich gerne machen würde. Jedoch habe mich genau dazu entschlossen, mich für die Veränderung dieses Arbeitsumfelds einzusetzen. Deshalb habe ich CLASH Bern mitgegründet.
Du bist gerade selbst im Praktikum. Wie erlebst du das?
Ich achte mich sehr auf Grenzüberschreitungen. Es braucht wenig, dass ich mich nerve. Aber gleichzeitig fällt mir auf, wie schwierig es ist, in einer solchen Situation sofort zu reagieren. Selbst wenn ich auf Sexismus sensibilisiert bin und weiss, dass es wichtig ist, sich zu wehren, ist mir bewusst, dass ich von dieser Person eine notenrelevante Rückmeldung bekomme oder zum Bestehen des Praktikums auf ihre Unterschrift angewiesen bin. Diese Hierarchie spüre ich ganz genau. Ich selbst hatte eine Situation, in der ich eingrenzüberschreitendes Verhalten angesprochen habe, worauf diese Person, die ich sonst als sehr kompetent und aufgeklärt eingestuft hatte, komisch reagiert hat. Da habe ich auch gemerkt, wie tief diese Strukturen sitzen.
Was leistet CLASH zur Veränderung sexistischer Strukturen im Medizinbetrieb?
Ein wichtiger Teil ist die Sensibilisierung der Studierenden. Zu Semesterbeginn gehen wir jeweils bei den neuen Jahrgängen vorbei, um uns und unsere Projekte vorzustellen. Wir zeigen mit unserer Arbeit auf, was der zukünftige Alltag leider mitbringen wird. Wir zeigen aber auch, welche Mittel es gibt, um sich zu wehren oder sich Hilfe zu holen. Wir hoffen zu vermitteln, dass es, wenn sich viele gegen sexualisierte Gewalt aussprechen und das immer wieder, irgendwann mal etwas verändert.
Das grösste Projekt, woran wir arbeiten, ist eine Meldeplattform für Betroffene von sexualisierter Gewalt. Ausserdem gestalteten wir letztes Jahr Plakate mit Sprüchen aus dem Praktikumsalltag. Sie sollen einerseits aufklären und anderseits betroffenen Personen zeigen, dass sie nicht alleine sind: Heute hängen die Plakate beispielsweise in der medizinischen Bibliothek. Dort sind nun Sprüche wie diese zu lesen:
„Wo kommt denn diese reizende Stimme her? Ah nein, dass darf ich ja nicht mehr sagen sonst gibt‘s sofort wieder #metoo.“
Schön wäre es natürlich, wenn wir sie im Inselspital oder einem anderen Universitätsspital auch aufhängen könnten. Alles in allem geht es uns darum, zu zeigen, dass, selbst wenn es schwierig ist, sich in diesen Hierarchien zu wehren, Wege gibt, das zu tun.
Die Universität Bern hat auch ein Meldeangebot für Betroffene. Was kann die Meldeplattform von CLASH mehr als die der Uni?
Die Meldeplattform soll dafür genutzt werden, Daten zu sammeln, um diese schliesslich auszuwerten. Die Auswertungen wollen wir nutzen, um medizinischen Institutionen mit genauen Zahlen zu zeigen, wie viele Vorfälle, es gibt und in welchen Kontexten sie geschehen. So kann dann auch die Dringlichkeit des Problems statistisch sichtbar gemacht werden und gesehen werden, wo es ein Verbesserungspotential gibt. Die Meldeplattform der Universität tut dies nicht.
CLASH Lausanne ist bei diesem Projekt ein Vorbild für uns. Das Kollektiv ist mittlerweile fest im Universitätsspital Lausanne verankert und hält halbjährliche Sitzungen mit der Spitalleitung. Sie stellen ihre gesammelten Daten vor und besprechen Massnahmen, die zur Verbesserung des Betriebs beitragen. Dort sehen wir, dass die Zusammenarbeit zwischen Studierenden und dem Spital möglich ist und etwas verändert.
Wie macht ihr die sexuellen Übergriffe messbar für die Meldeplattform?
Sexuelle Übergriffe messbar zu machen, ist sehr schwierig. Das sind wir uns bewusst. Auf der Meldeplattform versuchen wir deshalb mit dem genauen Beschreiben der Situation möglichst viele Details zum Übergriff zu sammeln, um die Situation zu spezifizieren. Dabei ist wichtig zu beachten, dass es sich bei sexuellen Übergriffen um individuelle Grenzüberschreitungen handelt. Wo die Grenze ist, ist bei jeder Person anders und das muss respektiert werden. So definiert sich ein sexueller Übergriff auch rechtlich und da haben wir bei dem Fragebogen für die Plattform angeknüpft.
Nicht nur Studierende sind von Machtmissbrauch und Sexismus im Spital betroffen. Wie geht ihr damit um?
Das Problem einzuschränken und auf etwas zu beziehen, was wir selbst erleben, ist greifbarer und auch einfacher umzusetzen. Ausserdem konnten wir auf das Konzept von CLASH zurückgreifen und es in Bern adaptieren, was ebenfalls Teile der – für uns neuen – Arbeit erleichtert.
Wir haben uns auch gefragt, ob wir die Meldeplattformen ausbauen sollen, haben aber gleich gemerkt, dass bereits dieser Teilaspekt sehr viel Arbeit benötigt. Zum Starten ist die Einschränkung auf Studierende viel einfacher umszusetzen. Ausserdem werden wir bei dieser Arbeit vom Institut für Hausärzt:innen unterstützt. Dieses arbeitet an der Uni, weshalb auch eine Einschränkung der Personengruppe auf Studierende naheliegt. Bereits Assistenzärzt:innen haben keinen Zugriff mehr auf das Tool. Dassselbe gilt für Pflegende. Wir sehen es als einen wichtigen Schritt, diese Meldeplattform für Studierende auf die Beine zu stellen und würden uns sehr freuen, wenn die Plattform später ausgebaut wird.
Wie arbeitet CLASH in der ganzen Schweiz zusammen?
Es gibt eine Inter-CLASH-Vereinigung, die sich halbjährlich trifft. Einige Events machen wir in dieser Zusammenarbeit. Wichtig für uns alle ist der Austausch. Beispielsweise bei der Meldeplattform konnten wir vom Wissen anderer CLASHs profitieren. Der Austausch macht besonders Sinn, um Daten vergleichbar zu machen und ganz einfach auch um sich gegenseitig Arbeit abzunehmen, um schneller zu Ergebnissen zu kommen.
Gibt es das Ziel, dass CLASH schweizweit einheitlich agiert?
Ja, bald wird eine einheitliche Website aufgeschaltet. Die regionalen Untergruppierungen bleiben aber weiter bestehen. Eine Bestrebung ist, die bestehenden Meldeplattformen, schweizweit auszubauen. Gerade weil Medizinstudierende ihre Praktika nicht unbedingt in den Universitätsspitälern der jeweiligen Uni machen, wäre das sinnvoll. Dann hätten wir auch Datensätze, die die ganze Schweiz abdecken. Um dies umzusetzen, braucht es aber wohl noch etwas Zeit.
Was wünscht ihr euch vom Spital oder von der Fakultät, um die Zusammenarbeit zu stärken?
Dass unsere Arbeit als wertvoll angesehen wird, ist sicherlich, was wir uns wünschen. Es sollte
anerkannt werden, dass Sexismus im Spitalbetrieb kein individuelles Problem ist, sondern ein systemisches. Und zwar eines, dass auch die Universität betrifft. Die Gefahr, dass Sexismus bagatellisiert wird, ist gross und
da erhoffen wir uns, dass sich die Universität und die Fakultät auch aktiv dagegen engagieren und unsere Arbeit als wertvoll ansehen.
„Sexismus im Spitalbetrieb ist kein individuelles Problem, sondern ein systemisches.“
Wie hat der Prix Lux eure Arbeit verändert?
Viele haben sich für Interviews und Beiträge gemeldet. Vorher wussten nur wenige, wer wir sind, und das Interesse war sehr klein. Zu spüren, dass wir gesehen werden und dass Anerkennung da ist, ist schön. Wir machen, auch wenn wir es gerne tun, unsere Arbeit für CLASH unbezahlt. Das kann sehr anstrengend sein. Der Prix Lux hat uns Energie gegeben, so weiterzumachen. Ausserdem zeigt der Prix Lux, dass die Universität hinter uns steht. So können wir an unseren Projekten weiterarbeiten. Man begegnet uns nun mit mehr Respekt und unsere Forderungen werden auch ernster genommen. Das Geld ist natürlich auch hilfreich. Bis jetzt mussten wir unsere Ausgaben für CLASH selbst bezahlen, das ist jetzt anders.
Was waren deine persönlichen CLASH-Highlights?
Die Zusammenarbeit und der Austausch mit den anderen CLASHs ist inspirierend. Beispielsweise hat CLASH Lausanne bereits sehr viel aufgebaut. Das ist für uns sehr schön zu sehen und macht auch Lust auf mehr. Ausserdem ist es ein tolles Gefühl, wenn man in einem Raum ist, der mit dreissig Personen gefüllt ist, die dieselben Sorgen zu Beginn des Studiums hatten und sich nun alle für dasselbe Ziel einsetzen und gerne auch viel Zeit investieren, um dieses zu erreichen.
CLASH ist noch nicht lange aktiv an der Universität Bern. Dennoch hat das Kollektiv in kurzer Zeit viel erreicht. Das Engagement und die Freude an der Arbeit von CLASH Bern zeigt, dass die Forderungen und die vom Kollektiv investierte Zeit, den Medizinbetrieb langfristig verändern können – an der Universität Bern und auch an anderen Schweizer Universitäten.
LENA WOODTLI studiert im zweiten Mastersemester Medizin. Sie ist seit Anfang an bei CLASH Bern dabei und hat das Kollektiv 2022 mitbegründet.
CLASH (Collectif de Lutte contre les Attitudes Sexistes en milieu Hospitalier) wurde 2018 in Lausanne von Medizinstudierenden gegründet, um die hierarchischen Machtgefälle im Spital anzugehen. Ziel war und ist es, sich gegen sexistischen Handlungen, egal ob verbal oder nonverbal, zu wehren und langfristig das Arbeitsumfeld zu verändern. Dabei von Bedeutung war die Einrichtung einer Meldeplattform für sexuelle Übergriffe, die vom Kollektiv geführt wird.
Das Kollektiv hat schweizweit regionale Untergruppen gebildet. Es gibt CLASH in Genf, Zürich, Fribourg, Lugano und seit 2022 auch in Bern. 2023 hat CLASH Bern den Prix Lux der Universität Bern erhalten.
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