«Als Forscher bleibe ich skeptisch»

17.02.2023

Olivier Schären entwickelt mit dem Startup Santella einen neuartigen Impfstoff gegen eine der weltweit schädlichsten Geflügelkrankheiten. Er ist einer von vier Jungforschern, die im Rahmen des Venture Fellowship Programmes des Innovation Offices der Universität Bern beim Sprung ins Unternehmertum unterstützt werden.

Interview: Jennifer Berger

Lesen Sie den originalen uniAKTUELL-Artikel hier.

Olivier Schären, was machen Sie bei Santella?

Wir entwickeln einen Impfstoff gegen das Bakterium «Avian Pathogenic Escherichia Coli» – kurz APEC –, das bei Geflügeltieren im Darm zu schweren Infektionen führen kann. Diese Infektionen werden aktuell vor allem mit Antibiotika behandelt. Das hat dazu geführt, dass bereits heute ein Grossteil der isolierten APEC-Stämme gegen Antibiotika resistent sind. Zudem hat der Erreger das Potenzial, auch für den Menschen gefährlich zu werden, wenn er in der Nahrungskette landet.

Welchen Vorteil hat der Impfstoff?

Einerseits ist es grundsätzlich besser, Tiere zu impfen, als diese nach Ausbruch der Krankheit mit Antibiotika behandeln zu müssen. Denn durch einen übermässigen und unspezifischen Einsatz von Antibiotika entwickeln sich gefährliche Antibiotikaresistenzen – was laut der Weltgesundheitsorganisation zu den weltweit grössten Risiken unserer Gesellschaften zählt. Unser Impfstoff soll den Tieren ausserdem über das Trinkwasser verabreicht werden und landet so gezielt am Ort, wo APEC-Infektionen ihren Ursprung nehmen: im Darm.

Wie gravierend ist die Krankheit für die Geflügelindustrie?

Jährlich ist schätzungsweise rund ein Drittel aller Geflügelherden von APEC betroffen. Insgesamt sind das über 10 Milliarden Tiere weltweit. Die Behandlungskosten und die hohe Sterberate führen zu grossen finanziellen Verlusten in der Nutztierhaltung.

Was hat Sie dazu bewogen, den Schritt ins Unternehmertum zu wagen?

Die Grundlagenforschung dazu habe ich während meiner Doktorarbeit gemacht. Damit die ganzen Erkenntnisse nicht einfach irgendwo verstauben, haben mein Team und ich uns überlegt, welches Problem sich mit einer praktischen Anwendung lösen liesse. Man könnte also sagen, dass wir das quasi verkehrt herum angegangen sind – ausgehend von der Lösung, hin zum Problem.

Wie gingen Sie bei der Problemsuche vor?

Die erste Idee war, einen Impfstoff gegen Salmonelleninfektionen bei Geflügel zu entwickeln. Ich hatte bereits mit Salmonellen gearbeitet und hätte da viel Erfahrung einbringen können. Eine Marktabklärung hat dann aber gezeigt, dass das nicht mehr wirklich gefragt ist. In den 1990er Jahren wäre es das Mittel der Stunde gewesen, doch heute hat man das Problem in Mitteleuropa im Griff. Gleichzeitig haben wir aber herausgefunden, dass APEC für den Geflügelsektor ein grosses Problem darstellt und sind dann darauf umgeschwenkt.

Teamarbeit wird bei Santella gross geschrieben: Sabrina Stöckli, Prof. Siegfried Hapfelmeier und Olivier Schären bringen je ihre Fähigkeiten ins Team ein und ergänzen sich gut. zvg

Sind also auch weitere Anwendungen denkbar?

Ja, wir sehen unseren Ansatz als Plattform-Technologie. Das heisst, dass wir ihn potenziell auch bei anderen Erregern und anderen Tieren einsetzen könnten. Selbst Anwendungen in der Humanmedizin sind denkbar.

Hätten Sie am Anfang Ihrer akademischen Karriere gedacht, dass Sie einmal Unternehmer werden könnten?

Nein, überhaupt nicht. In der akademischen Welt geht es darum, Studien zu publizieren. Über Unternehmertum wird an den Unis in meinen Augen viel zu wenig gesprochen. Zum Glück tut sich langsam aber etwas. Beispielsweise gibt es nun seit einem Jahr das Innovation Office als Anlaufstelle an der Universität Bern. Mein Wunsch wäre es, dass alle Doktorierende einen Kurs in Entrepreneurship besuchen müssten.

Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Unterschiede zur Wissenschaft?

Ich bin immer wieder darüber erstaunt, wie unterschiedlich Wissenschaftsbetrieb und Unternehmertum sind. Wenn man als Wissenschaftler eine Studie publizieren will, durchleuchten Forschende desselben Fachgebietes diese erst einmal genaustens. Was nicht überzeugt, wird nicht publiziert. Und jetzt begegnet man uns als Unternehmern gerade auf technischer Ebene sehr unkritisch – insbesondere, wenn wir genug überzeugend auftreten. Das sind schon zwei verschiedene Welten – als Forscher bleibe ich da skeptisch.

Olivier Schären präsentiert seine Business Idee zvg

Sie sind auf Ihrem Weg ja nicht allein. Wie wichtig ist das Team um Sie herum?

Sehr wichtig. Allein könnte ich das wohl nicht machen. Einerseits bin ich als Naturwissenschaftler ausgebildet und brauche Unterstützung, wenn es um Business-Fragen geht. Andererseits ist meine Kollegin Sabrina Stöckli die Kreative von uns beiden und verwandelt meine Folien mit langweiligen Datensätzen in ansprechende und für ein Laienpublikum verständliche Präsentationen. Wir ergänzen uns hier sehr gut.

Sie haben gerade eine weitere Finanzierung erhalten. Wie geht es nun weiter?

Wir haben im Rahmen der Tech-Transfer-Initiative des Nationalen Forschungsschwerpunktes Microbiomes, der an der Universität Lausanne angesiedelt ist, 200’000 Franken für zwei Jahre erhalten. Zusammen mit der Unterstützung des Venture Fellowships können wir dadurch am Projekt weiterarbeiten und haben Zeit, mehr Geld zu finden. Zudem konnten wir eine Partnerschaft mit dem Institut für Virologie und Immunologie des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) eingehen. Sie unterstützten uns bei den Versuchen und übernehmen auch die Kosten dafür.

Was sind Ihre Ziele und wo sehen Sie sich in ein paar Jahren?

Zurzeit sind wir daran, den Proof of Concept zu erbringen – wir führen also eine Machbarkeitsstudie durch. Eine solide Datenlage ist der Grundstein für einen erfolgreichen Verlauf eines Projekts. Wenn das gemacht ist, wollen wir eine AG gründen. Anschliessend werden wir eine Investment-Runde machen müssen, um damit dann die klinischen Versuche finanzieren zu können.

Würden Sie sich heute nochmals für die UniBE Venture Fellowship bewerben?

Ja, absolut! Es ist ja auch ein Gefäss, bei dem die Konkurrenz nicht ganz so gross ist wie bei andern Grants – noch nicht! Für die Förderung des Standorts Bern und der Universität Bern, ist die Fellowship ein gutes Instrument. Ich kann es allen empfehlen, sich eine Bewerbung zu überlegen.


ZUR PERSON

Olivier Schären hat 2021 sein Doktorat am Institut für Infektionskrankheiten (IFIK) der Universität Bern abgeschlossen und forscht seither im gleichen Institut als wissenschaftlicher Mitarbeiter. An der Universität Bern hat er auch einen Bachelor in Biologie und den Master in Molecular Life Sciences erworben.

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ZUM STARTUP

Das Team von Santella um Olivier Schären und Sabrina Stöckli entwickelt einen genetisch veränderten Lebendimpfstoff zur Bekämpfung von Kolibakterien (E. coli) bei Geflügel. Mit dem Spin-off Projekt Santella wollen Olivier Schären und sein Team nun einen neuen Impfstoff entwickeln, an dessen Grundlagen er während seines Doktorats forschte. Sie leisten damit auch einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen.

ZUM PROGRAMM

Unibe Venture Fellowship

Das Innovation Office der Universität Bern bietet mit den UniBE Venture Fellowships ein eigenes Förderprogramm an. Dieses Programm unterstützt jedes Jahr zwei bis vier Jungforschende, die erste Schritte in Richtung Unternehmertum machen wollen und an der Universität Bern ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse in innovative Produkte und Dienstleistungen umsetzen möchten. Ziel der je mit bis zu 100'000 CHF dotierten Fellowships ist, die der Innovation zugrundliegende angewandte Forschung weiterzuführen, um die technische Machbarkeit (Proof-of-Concept) einer innovativen Lösung zu validieren und die Kommerzialisierung entsprechend vorzubereiten.

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